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Channel: Politik – Daniel Bröckerhoff
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Nazis raus? Ja, gern. Aber wohin?

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Im Sozialnetz kursierte seit gestern ein relativ hilfloses Video der NPD Trier, die darin zu einer Demo gegen „Asylüberfremdung“ in der „ältesten deutschen Stadt“ am heutigen Samstag aufriefen.

Vom inzwischen gelöschten Video existieren natürlich längst Spiegelungen. Ich teile es hier absichtlich nicht, wer will, weiß wo zu suchen ist. 

Die Inszenierung

Zu sehen sind vier Männer, die augenscheinlich weder der höheren Bildungs- noch Einkommensschicht angehören und ohne ersichtlichen Grund mit Fackeln bei Sonnenschein in einem Innenhof in einer Reihe stehen. Die KKK-Reminiszenz ist so offensichtlich wie schlecht kopiert, man möchte „Cut“ rufen und Regie und Requisite zur Sau machen für soviel Lieblos- und Hilfslosigkeit.

  
Jeder Anwesende liefert der Reihe nach einen Appell ab, dabei greifen sie argumenta-tief in die Mottenkiste der Asylkritikargumente. „Überfremdung“, „Asylbetrug“, „es reicht“, dazu ein paar Zahlen, die sogar fast stimmen, aber ohne Kontext sind, so dass der gewünschte Effekt hinkend herbeischleicht und vor Überstrapazierung keuchend röchelt: Deutschland, dem Untergang geweiht! 

Die Sprecher

Die Sprecher sind offensichtlich auf unterschiedlichem Bildungsniveau. Sprecher 1 kriegt ganze Sätze hin, mehrere am Stück und treibt die Argumentation nach vorn. Er scheint der intellektuelle Anführer Der Gruppe zu sein, wenn dieser Ausdruck nicht zuviel des Niveaus ist. 

 

Screenshot aus dem Video

Eric, are you in there?

 
Er wirkt wie ein deutscher Eric Cartman, aber ohne die Durchtriebenheit und Intelligenz, die diesem South Park-Charakter innewohnt. Der klassische Anführe der „Angry White Men“, zu kurz gekommen im Leben, von niemandem respektiert, weswegen er sich jetzt seinen Respekt durch unangepasstes Sozialverhalten erwerben will.

  

Screenshot aus dem Video

Kann lieb gucken, aber sagt unschöne Dinge

Sprecher zwei und drei haben nur kurze Sätze. Sie wirken wie die klassischen Mitläufer,  die ebenfalls im Leben nichts erreicht haben und nie dazugehörten, so dass sie jetzt froh sind irgendwo Mitglied sein zu dürfen und jemand zu sein. 
Screenshot aus dem Video

Kann auch lieb gucken, aber nicht lieb denken

Sprecher vier, ein älterer Mann, wirkt wie der klassische Malocher. Er ist der Typ „Zeugwart im Sportverein“ – bullig, ordnungsliebend, immer da, wenn Not ist. Aber wehe, Du hängst das Bällenetz an den falschen Haken!

Screenshot aus dem Video

„Die Bälle kommen da hin und die Flüchtlinge da hin!“

Er hat vermutlich sein Leben lang geschuftet oder es zumindest versucht, ist aber auf keinen grünen Zweig gekommen und gibt jetzt anderen anscheinend die Schuld dafür. Eventuell hat er mit der Auslagerung der Verantwortung für seine persönliche Lage sogar in Ansätzen Recht. Jedoch sucht er auf der völlig falschen Seite die Schuldigen: bei Menschen, die genauso als Opfer der Verhältnisse gesehen werden können wie er und seine nicht-fantastischen Vier aus Trier.*

Der Schlachtruf

Unterbrochen werden die einzelnen Statements von dem kryptischen Ruf „Vier, vier, vier! Buntes Trier! Nicht mit mir!“ (Anfangs verstand ich immer“Buntes Tier“ und wunderte mir.) Dabei werden die Fackeln gekreuzt als wären sie Pennälerpissstrahlen am Lagerfeuer. 

Jede Einstellungen dauert ewig, als wolle der Schnittmeister sicher gehen, dass wirklich jeder das Bild verstanden hat. Der nationale Widerstand lässt sich Zeit.

Fackelzug. Wirkt gefährlich, nur nicht bei Sonnenschein.

So weit,  so lächerlich.

Es wäre eine Steilvorlage für die Kollegen von extra3, die jedoch gerade in den Sommer Ferien sind, wenn es nicht vor dem derzeitigen schwierigen politischen Hintergrund stattfinden würde.

Man darf diese Personen derzeit nicht nicht ernst nehmen. Das ist zwar eine Art des Umgangs damit, vor allem um dem Phänomen die Bedrohungen zu nehmen. Aber angesichts brennender Flüchtlingsheime, scheint das eher nicht angebracht. Vor allem, weil ich beobachte , dass sich beim Austausch über den Clip gesellschaftliche Schichten übereinander lustig machen beziehungsweise aufregen. Das ist für den Moment vielleicht die scheinbar richtige Reaktion, bringt uns aber gesellschaftlich auf lange Sicht nicht weiter, sondern verschärft das vorhandene Problem eher noch.

Denn bei aller richtigen Empörung, Distanzierung und dem zivilen Dagegenhalten beziehungsweise Sanktionieren, finde ich es umso wichtiger, immer wieder darauf hinzuweisen, dass es für jede Wirkung eine Ursache gibt. Dass jedes Handeln in sich ein Logisches ist, auch wenn das in diesem Falle mehr als wehtut und der Gedanke alles andere als schön ist. 

Was ist die Ursache für diese Logik?

Anders als andere Sprecher derzeit, sehe ich in diesem Handeln kein pures Arschloch-Verhalten, auch wenn sich die Herrschaften wie genau solche verhalten. Und anders als andere Sprecher sehe ich auch nicht, dass ein Individuum erst zu einer politischen oder ideologischen Einsicht oder Ansicht gelangt und sich dann mit anderen Gleichgesinnten zusammen tut, um diese durchzusetzen. Das ist – Entschuldigung – dasselbe argumentative Niveau, wie zu meinen, dass alle Flüchtlinge halt kriminell sind, weil sie halt so sind.

Ideologien, Ansichten und Haltungen sind zwar auch von der genetischen Disposition abhängig. Aber vor allem sind sie auch Konstrukte der Erziehung, der Sozialisation, der Umwelt und der persönlichen Lage, in der sich jemand befindet. In der Sonderpädagogik spricht man bei „Persönlichkeit“ von einem multikausalem Konstrukt. 

Nazis raus? Ja, gerne. Aber wohin?

Es ist daher unsere Verantwortung als Gesellschaft herauszufinden, warum eine Gruppe von Individuen sich derart antisozial und unmenschlich verhält, wie es zu diesem Verhalten gekommen ist, welche Logik diesem Verhalten innewohnt und wie man gegensteuern kann. Vor allem auch, um zukünftig solches Verhalten einzudämmen oder am besten von Anfang an zu verhindern.

Man nennt das alltagssprachlich auch Präventionsmaßnahmen und Aufklärungsarbeit. Wenn wie gerade ein lange bekanntes Problem auf einmal akut wird, ersäuft aber die Notwendigkeit von Sozialarbeit, Bildung und grundsätzlichen gesellschaftlichen Debatten zu oft im „Nazis raus“-Rufen. Nazis raus? Ja gern. Aber wohin denn?

// Ergänzung, 2.8.15 // Und was ist mit den vielen „besorgten Bürgern“, die ganz gewiss keine Rechten sein wollen, aber trotzdem finden, dass wir zuviele Flüchtlinge aufnähmen? Dass wir in Deutschland doch wichtigere Probleme hätten? Dass wir nicht „die ganze Welt retten“ könnten?

Meine meine Fragen also an all jene, die meinen, man müsse sich nur hart genug gegen diese Menschen stemmen, um das Problem los zu werden:

  1. Was macht diese augenscheinlichen „Verlierer“ der NPD Trier zu „Verlierern“? Und wie werden aus ihnen aktive, antisoziale Kräfte?
  2. Was macht „normale Bürger“ zu „besorgten Bürgern“? Welche Ängste stecken dahinter? Wie würden sie hervorgerufen? Wie berechtigt sind sie? Wer profitiert von dieser Angst?
  3.  Welchen Teil der Verantwortung trägt eine Gesellschaft dafür, dass Teile von ihr sich derart meinen aufführen zu müssen und dieses Fehlverhalten auch noch als einzig richtiges deuten? 
  4.  Was muss eine Gesellschaft tun – neben strafrechtlichen Konsequenzen und klarem Distanzieren bzw Dagegenhalten – um diese Entwicklungen aktiv einzudämmen und künftig zu verhindern? 

Denn so schwierig es ist: Wir müssen mit diesen Menschen und Einstellungen zusammenleben. Sie sind Wähler, Steuerzahler, Nachbarn, Kollegen. Bei manchen vielleicht auch Verwandte oder alte Freunde. 

Bloßes Ausgrenzen, Dagegenhalten und Wegargumentieren wird keine dauerhaften und befriedigenden Resultate bringen. Wenn eine Krankheit ausbricht, bekämpft ein guter Arzt auch nicht bloß die Symptome, sondern sucht nach den Ursachen.

Ich mag zum Gesamttheme diesen Song von Blumio:


*Dieses schöne Wortspiel stammt von Thomas Schwenke. 


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